Gestern fand sich diese seltsame Meldung auf spiegel.de:
"Mond soll durch Nuklearexplosion entstanden sein". Kurz gesagt geht es um die Idee, dass der Mond nicht wie bisher vermutet durch den Impakt eines marsgroßen Körpers abgeschlagen wurde, sondern durch eine nukleare Explosion aus der Erde herausgesprengt.
Ich halte das für unrealistisch, da sehr viele Probleme aufgeworfen werden, die sich mit aktuellen Modellen nicht lösen lassen. Aber dafür muss ich etwas weiter ausholen. (Im Folgenden nenne ich die neue Theorie einfach Explosionstheorie)
Nun ist die Entstehungsgeschichte des Mondes in der Tat ein Gebiet mit vielen Fragezeichen - einfach deswegen, dass es so lange her ist und wenig Spuren hinterlassen hat. Aber einige Spuren gibt es eben doch, und leider wird auf diese im Artikel nur sehr wenig eingegangen.
Nach aktuellen Messungen über Wolfram-Isotope wird das Mondalter auf 30-70 Millionen Jahre nach der Erdentstehung geschätzt.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Entstehungsgeschichte des Mondes praktisch unbekannt und mehrere Thesen wurden gleichwertig diskutiert (sie waren sogar ein Hauptmotivator für die Apollo-Missionen). Heutzutage gilt die erst 1975 entwickelt Kollisionstheorie als allgemein anerkannt. Im Einzelnen kann man sich diese Theorien im
Wiki anschauen, ich will hier nur einen kurzen Abriss geben:
- die Abspaltungstheorie: Von einer heißen, (zäh)flüssigen und schnell rotierenden Proto-Erde schnürte sich ein „Tropfen“ ab und bildete den späteren Mond.
- die Einfangtheorie: Erde und Mond entstanden unabhängig in verschiedenen Regionen des Sonnensystems; bei einer engen Begegnung fing die Erde den Mond durch ihre Gravitation ein.
- die Schwesterplanet-Theorie: Erde und Mond entstanden gleichzeitig und nahe beisammen.
- die Kollisionstheorie: Die Proto-Erde kollidierte mit einem großen Körper und aus der weggeschleuderten Materie bildete sich der Mond. (Diese wird zur Zeit praktisch von allen Wissenschaftlern akzeptiert)
- und schließlich die neue Explosionstheorie.
Letztendlich haben alle diese Theorien einige Erklärungsprobleme, die Kollisionstheorie jedoch am wenigsten.
Die Abspaltungs
theorie ist heute praktisch vom Tisch, da die erforderliche Fliehkraft viel zu groß wäre und hinten und vorne in kein Modell passt. Aus dem Gedanken entstand jetzt die neue Explosionstheorie, um die fehlende Kraft zu erklären. Abgesehen von der Quelle dieser Energie gibt es noch ein weiteres Problem, den Drehimpuls.
Bezeichnet für das Erde-Mond-System ist der ungewöhnlich hohe Drehimpuls. Dieser lässt sich mit der Kollisionstheorie gut erklären (siehe Bild), geht man von einem stark tangentialen Einschlagswinkel aus.
Computer simulations modelling a giant impact are consistent with measurements of the of the Earth–Moon system, as well as the small size of the lunar core [Canup, R.; Asphaug, E. - Nature, 2001]
Die Explosionstheorie hat an dieser Stelle meiner Meinung nach Erklärungsprobleme, da der Gesamtdrehimpuls erhalten bleibt, mit oder ohne Explosion (aber sich bei einer Kollision ändern würde). Wenn er davor und danach gleich ist, müsste sich die Erde vor der Explosion unvorstellbar rasant gedreht haben. Was wiederum die Frage aufwirft, wie ein solcher Drehimpuls in der protoplanetaren Scheibe entstehen konnte.
Als nächstes wäre da die
Roche-Grenze, welche astronomische Körper auseinanderreißt, wenn sie sich zu nahe kommen. Diese Grenze verhindert Monde unterhalb eines bestimmten Orbits und stellt somit auch ein Problem für die Abspaltungs- und Explosionstheorie dar, da der Mond die Grenze "von unten" ohne Fremdimpuls durchqueren muss.
Ein weiteres Gegenargument für die Abspaltungstheorie gilt möglicherweise auch für eine Explosion: Der Mond eiert. Um 5,145 Grad, um genau zu sein, weicht die Bahn von der Ekliptik ab - welche man bei der Abspaltung erwarten würde. Die Autoren von der Explosionstheorie gehen ebenfalls von einer äquatorialen Abspaltung aus, siehe weiter unten.
Auf der anderen Seite hat auch die Kollisionstheorie einige Lücken. Insbesondere fehlt dem Mond Gewicht (die Dichte ist geringer, als man erwarten würde), der Anteil an Eisen zu gering, der an Volatilen vermutlich zu hoch. Das größte Problem: Neueste Untersuchungen legen nahe, dass der Mond und der Erdmantel nahezu identisch sind, und sich kaum Anzeichen auf den Impaktor finden lassen. Aber im Vergleich mit den Alternativtheorien wird die Kollision von den meisten Wissenschaftlern bevorzugt, hat jedoch streng genommen nur den Status einer Hypothese.
So, das waren ein paar Gedanken zur astronomischen Geometrie. Die viel spannendere Frage ist natürlich, wie es überhaupt zu einer "natürlichen Atombombe" kommen konnte. Leider steht im Artikel nur sehr wenig darüber, welche Überlegungen und Rechnung die Autoren angestellt haben. Nur ein oberflächlicher Absatz:
In 2900 Kilometer Tiefe herrschen wahrhaft höllische Verhältnisse: Bei Temperaturen wie auf der Sonne lastet auf jedem Quadratzentimeter das Gewicht von 1300 Tonnen. In Silikatgesteinen strahlen radioaktives Uran und Thorium. Wären die Substanzen örtlich um das 20fache angereichert, könne es zur nuklearen Kettenreaktion kommen, meinen de Meijer und van Westrenen. Am Ende würde der Planet explodieren.
Im englischen Original steht das noch ein wenig ausführlicher:
Their hypothesis is that the centrifugal forces would have concentrated heavy elements like thorium and uranium on the equatorial plane and at the Earth core-mantle boundary
Also nicht nur durch Konvektion, sondern vor allem durch die Zentrifugalkraft der Erdrotation. Ich bezweifle jedoch sehr, dass solch ein Prozess die nötigen Massen an die nötigen Stellen transportieren kann.
Zudem würde ich ebenfalls die Äußerung
"Ich würde vermuten, dass es nicht zur Aufheizung und Explosion käme, weil die Energie zuvor durch Vulkanismus abgebaut würde."
von Tilman Spohn vom DLR unterschreiben. Die erforderlichen Konvektionen für eine Anreicherung würden ebenfalls die Energie sehr schnell wieder abtragen und verteilen, wodurch sich nie genug ansammelt. Allerdings habe ich dafür keine Zahlen, es ist mehr ein Bauchgefühl. Das Erreichen einer superkritischen Masse in der erforderlichen Menge für eine Explosion dürfte zudem extrem unwahrscheinlich sein.
(Der gleichen Meinung ist auch Gunnar Ries @Amphibol) Vor allem: Sobald genug Masse da ist, um superkritisch zu sein (sprich, ein paar Kilogramm), geht das Ganze eigentlich sofort hoch, ohne auf nachfolgendes Material zu warten.
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Auf jeden Fall eine interessante und spannende Idee, die zudem zeigt, wie stark die Wissenschaft immer in Bewegung ist.
Eine Abschlussidee: Wie sieht das denn bei anderen Planeten aus? Venus und Merkur haben keinen Mond und die von Mars sind kaum der Rede wert. Theoretisch müssten jedoch alle eine ähnliche Menge an schweren Elementen abbekommen haben. Könnte eine solche nukleare Explosion auch noch heute stattfinden? Und wäre die Explosionstheorie richtig, müssten der Anteil radioaktiver Elemente nicht dort möglicherweise höher sein, wo es keine Explosion gab? Ich bin gespannt, was die Zukunft an neuen Erkenntnissen bringen wird. Eine Möglichkeit der Untersuchung wären Spaltprodukte wie Helium-3 und Xenon-136 auf dem Mond.
http://www.sciencemag.org/cgi/content/abstract/310/5754/1671
http://www.physorg.com/news183884450.html
http://arxiv.org/abs/1001.4243
http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/hintergrund/281634.html?page=0